Die 1. Beigeordnete überraschte die Sitzungsteilnehmer mit der Information, die Fraktionsvorsitzenden hätten einstimmig beschlossen, auch dieses Jahr keine Haushaltsreden zu halten. AfD-Fraktionschef Ralf Schönborn war nicht eingeweiht.
Die Haushaltsrede gehört zu den wichtigsten parlamentarischen Reden im Jahr. Wir veröffentlichen hier unsere nicht gehaltene Haushaltsrede – aus Respekt vor dem bürgerlichen Informationsrecht in einer Demokratie.
Erneut ein negatives Jahresergebnis
Sicher erwartet man in Pandemie-Zeiten mit all ihren Lockdowns und anderen Störungen keinen Rekordhaushalt, aber die Ernüchterung ist schon groß:
- Die Zahlen sind bekannt: Ein Ergebnis-Fehlbetrag von -8,8 Mio., ein Liquiditätsabbau von -3,7 Mio., macht ein Gesamt-Minus von 12,5 Mio. und zum zweiten Mal einen nicht-ausgeglichenen Haushalt.
- Achten wir auf die Entwicklung zum Vorjahr: eine Ergebnis-verschlechterung von 28 %, eine Liquiditätsverschlechterung von 108 % – also eine beschleunigte Talfahrt.
Woran liegt das? Trotz steigender Erträge (+ 8,4 Mio. / 4,8%) haben wir überproportional steigende Aufwendungen (10,1 Mio. / 5,5%). Welche Auswirkungen hat das: auf unseren Schuldenstand, unser Eigenkapital, unsere Investitionsmöglichkeiten, unser verbliebenes politisches Potential? Schauen wir uns das etwas genauer an.
Wir haben wachsende Schulden bei schwindendem Eigenkapital
Wir lesen zufrieden: „Keine Neukreditaufnahme in 2022!“. Wenn wir einmal zurück und in die nähere Zukunft schauen, zeigt sich:
- Seit 2019 rückläufige Zins- und Tilgungsdienste und
- von 2022 bis 2025 wachsende Schulden von 11,1 auf 28,1 Mio., das sind plus 152 % in nur 3 Jahren! Das sieht nach „negativer Nachhaltigkeit“ aus!
Neukreditaufnahme:
2019 | 2,183 Mio. Ergebnis | Veränderung: |
2020 | 2,178 Mio. Ansatz | -5 Tsd. EUR |
2021 | 1,949 Mio. Ansatz | -234 Tsd. EUR |
2022 | 0 |
Verbindlichkeiten aus Kreditaufnahmen für Investitionen
Stand 1.1. | Zinsen | Tilgung | Stand 31.12. | pro Kopf | |
2019 | 425 | 1.758 | 16,035 Mio. | 153,33 | |
2020 | 374 | 1.649 | 14,387 Mio. | ||
2021 | 326 | 1.623 | 12.763.600 | ||
2022 | 12.763.600 | 282 | 1.616.900 | 11.147.700 | 106,60 |
2023 | 17.081.450 | ||||
2024 | 23.615.482 | ||||
2025 | 28.133.459 | 269,01 |
Unseren Finanzbedarf haben wir also nicht über Neukredite, sondern aus der Rücklage befriedigt. Unser Eigenkapital schmilzt von 90 Mio. Ende 2020 auf 74 Mio. Ende 2022. Das sind pro Jahr 8,8 Mio. Wenn wir das so weiter machen, sind wir in weniger als zwei Legislaturen (genau: in 8 ½ Jahren) auf Null!
Entwicklung des Eigenkapitals:
31.12.2020 | 90.115.370,95 | EK (§ 6) vorläufig | Veränderung: |
31.12.2021 | 83.249.595,95 | voraussichtlich | -6.865.775 |
31.12.2022 | 74.469.220,95 | voraussichtlich | -8.780.375 |
Aktuell bedeutet dies eine Schwächung unserer Investitionsfähigkeit
Veranschlagt sind Investitionsmittel in Höhe von 14,1 Mio., vor allem für Straßen 5 Mio., Schulen 2,9 Mio., den überfälligen Breitbandausbau mit 1 Mio., usw. Das ist wenig und nur dem Umstand geschuldet, daß keine neuen Investitionskredite aufgenommen werden sollen. Natürlich ist anzuerkennen, daß dem Ziel der Haushaltskonsolidierung „Abbau von Altschulden“ Vorrang gegeben wurde und Investitionskredite in Höhe von 1,6 Mio. getilgtwerden. Aber ein Blick auf Schulen und Straßen zeigt auch: hier wäre noch mehr zu tun.
Gestatten Sie mir einen kleinen Seitenblick auf die Landespolitik: Wir hätten auch wie unsere Landesregierung Neukredite zum Negativ-Zins von 0,4% aufnehmen können: Die hat auf diese Weise 41 Mio. Gewinn eingefahren. Das ist aber für einen Rhein-Hunsrücker kein seriöser Weg, wir sind da mehr beim Bürger, dem die Inflation das Sparguthaben wegschmelzt.
Diese Selbstbeschränkung führt aber dazu, daß die aufzubringenden Mittel in Höhe von 14,1 Mio. nur zur Hälfte – 7,3 Mio. – aus Investitionszuwendungen finanziert werden und die fehlenden 6,8 Mio. sozusagen aus der Kasse kommen.
Überblick Liquiditätsreserve:
-3,7 Mio. | F23 | Ergebnis der Finanzrechnung (Liquiditätsabbau) |
-1,6 Mio. | F36 | Tilgung alter Investitionskredite |
-5,3 Mio. | F44 | operativer Jahresfehlbetrag |
6,8 Mio. | F33 | Barmittel für Investitionen |
12,1 Mio. | F38 | Abnahme liquider Mittel |
Folge für unsere Liquiditätsreserve: sie schrumpft – zusammen mit dem Fehlbetrag aus der Finanzrechnung und der Tilgung alter Investitionskredite – um 12,1 Mio.: Das engt unseren Handlungsspielraum zunehmend ein.
Diese finanzielle Lagebestimmung hat deutlich gemacht, daß unsere kreispolitischen Handlungsspielräume eng sind, noch enger geworden sind und daß wir uns ab sofort noch stärker legitimieren müssen, wofür wir Einnahmen erzielen – analog: wofür wir öffentliche Gelder ausgeben wollen – oder müssen.
Ich möchte hierzu drei Einnahmen- und vier Ausgabenbereiche ansprechen.
Wie Einnahmen steigern?
- Gewerbesteuer und Steuerkraftzahl
Die Gewerbesteuer-Einnahmen der Kommunen werden als stabil dargestellt. Das dürfte – nach Einführung der desaströsen 2G-Regel, die über noch mehr Umsatzausfälle im Weihnachtsgeschäft noch mehr Einzelhändler zur Geschäftsaufgabe zwingen wird, nicht mehr realistisch sein. Hier sind wirtschaftspolitische Geisterfahrer am Werk, deren Unvermögen viele teuer zu stehen kommen wird. Auch den Kreis.
Ich denke also, daß wir hier unsere Erwartungen über sinkende Gewerbesteuer-Einnahmen der Kommunen und in der Folge eine sinkende Steuerkraftzahl deutlich nach unten korrigieren müssen.
2. Das Produkt Verkehrslenkung
… eine Einnahme? Ja, da sind ja auch die Bußgelder drin. Hier wächst ein schon vorhandener Überschuß um 106 Tsd. EUR – das sind 51 % mehr! Jeder Euro verdient hier 2,28 Euro. Mit Verlaub: ein steigender Überschuß aus Verkehrslenkung: das hat in Corona-Zeiten, wo die Bürger andere Sorgen haben, ein Geschmäckle.
3. Die Kreisumlage
… wird mit 45,00 % konstant gehalten. Der Landesdurchschnitt liegt mit 44,13 % niedriger, konnte sogar auf 44,09 % leicht gesenkt werden. Dem wäre eigentlich nachzueifern. Sollte sich aber die Finanzlage des Kreises wie dargestellt weiter verschlechtern, wird im kommenden Jahr eine Anhebung der Kreisumlage unausweichlich sein!
Ausgaben senken: Wer sind unsere Kostentreiber?
Welche wesentlichen Ausgabensteigerungen haben zu dem Fehlbetrag von 8,8 Mio. geführt? Und noch wichtiger: können wir die weitere Entwicklung beeinflussen? Ich möchte die vier wichtigsten Bereiche anführen.
- Ein gescheitertes ÖPNV-Konzept mit leeren Bussen und sinkenden Schülerzahlen (TH 12)
Die Beförderungsleistungen zu KiTa und Schule steigen auf 17,6 Mio. und verschlechtern das Jahresergebnis um 6,7% auf einen Fehlbetrag von 6,4 Mio.; interessante Begründung: „gestiegene Büro- und Organisationskosten“ sowie „steigende Schülerzahlen“. Wo kommen die her? Tatsächlich sinken die Schülerzahlen im Schuljahr 2021/22 weiter um 794 Personen oder 8,04%. Das riecht etwas nach Parkinsonschem Gesetz: mit Schwinden der Aufgabe wachsen die Kosten. Hinzu tritt das Risiko des von der Landesregierung ausgehandelten RLP-Index.
Klar ist: Nur ein Konzeptwechsel führt aus dem Kosten-Schlamassel. Nun können wir an unseren Antrag zur Revision des ÖPNV aus dem Jahre 2019 anknüpfen und den Beweis antreten, aus den Fehleinschätzungen der Vergangenheit gelernt zu haben.
Neben den Beförderungsleistungen gehört hierzu der ÖPNV im Produkt 5.4.7.0, dessen Aufwand auf 388.676 Euro steigt und einen Jahresfehlbetrag von 298 Tsd. Euro einfährt: -7,7% zum Vorjahr. Das sind die umweltschädlichen Busleerfahrten, die den ganzen ÖPNV bei der Bevölkerung in Verruf gebracht haben. Selbstkritisch müssen wir uns fragen: War es den Versuch wert? Auch mit Blick auf die Ergebnisse der Studie „Leben im RHK“, wonach drei Viertel (76,4%) der Bürger die öffentlichen Busse nie nutzen und über 90% lieber mit dem eigenen PKW zur Arbeit pendeln, müssen wir erkennen: Hier liegt Einsparpotential.
Wir werden das geplante Landesverkehrsgesetz, das den ÖPNV als kommunale Pflichtaufgabe festschreiben will, hellwach begleiten und mit der Bedarfslage unseres Landkreises konfrontieren.
2. Sozialen Hilfen für Behinderte und Asylbewerber steigen (TH 13)
Hier möchte ich zwei Positionen herausgreifen.
Das Bundesteilhabegesetz – im Wesentlichen die Leistungen für Behinderte (3.1.6.2 und 3.1.6.4) steigen von 29 auf 31,4 Mio. um 8,3%. Der Fehlbetrag wächst um 1,1 Mio. auf jetzt 16,1 Mio. Das ist sicher auch dem Einsatz von Herrn Gewehr, unserem Behindertenbeauftragten, zu danken, denn wir wissen, wie schwer es manchem fällt, den Staat um Unterstützung zu bitten. Hier sparen zu wollen, wäre unsozial. Ein weiterer Brocken:
Die Hilfen für Asylbewerber – ja, Sie können sich darauf verlassen, daß wir von der AfD dieses Thema im Kreistag ansprechen, wer sonst? – steigen um 48% auf 3,2 Mio. Da dem Kreis nur 2,1 Mio. erstattet werden, wächst der Fehlbetrag auf 1,2 Mio. oder 4%. Die Landesregierung bestellt – und zwar klar gegen die Beschlußlage des Kreistages – und läßt uns auf einem Großteil der Kosten sitzen! Wir brauchen das Geld für unsere eigene Sozialpolitik!
Mit Verwunderung ist zu lesen, daß die Zuweisungszahlen (Jan-Sep lt. BAMF) 2021 auf 134 Personen gestiegen sind, das sind 120% – und 2022 mit einem weiteren Anstieg zu rechnen sei. Hat die „Seebrücke“ eine Umgehung des mehrheitlichen Kreistagsbeschlusses gefunden? Hier werden Kreismittel gebunden, die an anderer Stelle fehlen, und so etwas darf man in einer Demokratie kritisch anmerken.
3. Die Erziehungshilfen steigen und steigen (TH 14)
Im TH 14 ringen zwei Zielgruppen um staatliche Unterstützung: jene Familien, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert scheinen und vielfältige Hilfen bekommen, und die Kindertageseinrichtungen, die von immer mehr erwerbstätigen Müttern mit Kindern schon unter 3 Jahren in Anspruch genommen werden – was das Kleinkind in mir beklagenswert findet.
In den Bereich „Erziehungshilfen“ fallen Hilfen zur Erziehung, Eltern-Betreuungsgelder, Schulsozialarbeit, Amtsvormundschaften usw. (Produkte 3.4.1.0 bis 3.6.3.8). Die Aufwendungen hierfür steigen auf 24,8 Mio. um 3,6% und hinterlassen einen Fehlbetrag von 16,5 Mio., das sind 1,2 Mio. oder 8,1% mehr als im Vorjahr. Hier spielen auch Tragödien im Gefolge der Corona-Politik, Kita- und Schulschließungen usw. hinein.
Dennoch stellt sich die Frage: Wie lange darf dieser Kostenanstieg so weitergehen? Welchen Effekt haben diese Aufwendungen eigentlich, wenn sie das Problem nicht „heilen“ können, sondern zum Dauer-Tropf werden?
4. Wachsende Ausgaben nach neuem KiTa-Gesetz (TH 14)
Mit dem neuen Kita-Gesetz wird der erwerbstätigen Mutter ein auf 7 Stunden täglich ausgebautes Betreuungsversprechen gemacht, Mittagsverpflegung inkludiert. Der hierdurch vergrößerte Fachkräftemangel ist Pate eines unzureichenden Personalschlüssels, der das Projekt als Mogelpackung entlarvt. Von den Elternvertretungen wissen wir, daß die Sorgen groß sind: Personalschlüssel, Flexibilisierung der Zeiten sind einige Stichworte. Zudem mußten Eltern und Kinder in der Pandemie lernen, daß eine Kita einfach dicht machen kann und die Familie letztlich auf sich selbst gestellt ist.
Fakt ist: Die auch in unseren Kitas erfolgte Stellenvermehrung hat nicht zu einer verbesserten pädagogischen Betreuungsdichte geführt, sondern wird vom 7-Stunden-Ausbau aufgezehrt. Der Leistungsdruck ist eher gestiegen, was allen schadet.
Machen wir uns hier nichts vor, das neue Kita-Gesetz ist dem Ziel geschuldet, unsere Mütter im Zeichen des Fachkräftemangels möglichst schon vom Kreißsaal aus wieder ans Fließband zu holen, oder noch besser: ganz auf eigenen Nachwuchs zu verzichten, denn den können wir ja billiger aus „Überschuß-Ländern“ importieren.
Was kostet uns diese hartherzige Industrie-Politik?
Die Aufwendungen steigen von gut 36 auf fast 39 Mio. und vergrößern das Jahresdefizit auf 18,8 Mio. – eine Steigerung um 1,2 Mio. (6,7%). Darin spielt das neue Sozialraumbudget, das die Sozialarbeit in den Kita-Bereich einführt, eine kostspielige Sonderrolle.
Letztlich wird hier vom Land bestellt, aber nicht bezahlt! Das Land erfüllt sich hier Politik-Träume, die familienpolitische Alpträume sind – für Einjährige ist die Fremdbetreuung in der Kita ein Alptraum – und drückt sich auch noch um die Bezahlung. Es ist einfach bezeichnend, daß wir hier im Rahmen einer Haushaltsplanung mit Spannung auf ein OLG-Urteil warten müssen, um eine solide Kostenabschätzung vornehmen zu können.
Die Landesregierung hat große finanzielle Risiken geschaffen und wir – das kann ich zumindest für die AfD sagen – werden uns hier nicht mit unprofessionellen Betreuungsstandards über den Tisch ziehen lassen! Hier baue ich auch auf die Unterstützung durch unsere Kita-Fachkräfte, die unter dem gewachsenen Arbeitsdruck die wirkliche Lage am besten einschätzen können. Eines will ich selbstkritisch anfügen: Die vom Kreistag beschlossene „Wald-Million“, die wäre im Kita-Bereich nachhaltiger investiert gewesen!
Ich möchte das Finanzkapitel mit einer Bemerkung zu den Schlüsselzuweisungen nach dem LFA beschließen. Diese sind ein Maß der Fremdbestimmung: Das Land gibt das Ziel vor und zahlt und der Kreis macht.
Unsere Kosten der sozialen Sicherung sind wieder gestiegen, um fast 6% auf über 81 Mio. Und obwohl die Zuweisungen C1/2 um 28% auf 6 Mio. massiv steigen, wird im Ergebnis des TH 13/14 ein Fehlbetrag von 2 Mio. gerissen, das sind 3,5%; ohne die Zuweisungen wären es sogar 5,4%.
Unser eigener Handlungsspielraum geht verloren, wenn wir uns zunehmend Kuckuckseierins Nest legen lassen und um die Alimente betrogen werden. Die Absicht ist doch klar, wenn in schwarzen Landkreisen rot-grün-gelbe Politik umgesetzt werden muß – zu Lasten eigenständiger Zielprofile, und die dann ihren Bürger entweder Gebührenerhöhungen oder Leistungskürzungen erklären müssen.
Wir fordern vom Land daher nachdrücklicher denn je die Einhaltung der grundgesetzlich gesicherten Ausstattungsgarantie durch entsprechende staatliche Finanzzuweisungen (Konnexitätsprinzip).
Der Stellenplan
Für Personal- und Versorgungsaufwendungen sind 26,5 Mio. angesetzt, also eine Dreiviertel-Million (752 Tsd.) mehr als im Vorjahr (+2,9%). In der Summe wächst der Stellenplan um 6,35 Stellen auf 350 Stellen (+1,7%).
Das Gesundheitsamt weist 9,6 zusätzliche Stellen aus. Anmerkung hierzu: In normalen Zeiten hätten wir alle wohl lieber Personal im Sozial- und Kita-Bereich ausgebaut, wo es dringend benötigt und nachhaltiger investiert wäre.
Von den 350 Stellen sind 13 % unbesetzte Stellen! (30.6.2021). Die Gründe mögen vielfältig sein: Im Arbeitsalltag der Mitarbeiter bedeutet das: erhebliche Mehrarbeit und Stress. Dafür gebührt ihnen unser Dank, nicht ohne Sorgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren: Insgesamt wird die AfD der vorgelegten Haushaltssatzung mit Haushaltsplan – mit großen Bauchschmerzen – zustimmen.